Prof. Baldur Schönfelder über Th. K. Müller


Th. K. Müller ist, durch eine Überzahl an plastischen Arbeiten ausgewiesen, Plastiker. Der Steinblock, der Holzstamm und die mit der Figur noch immer einhergehende abtragende, „bildhauende“ Arbeitsweise, sperren sich ihm, sie wollen seiner momentanen Eingebung, seinem künstlerischen Wollen, insbesondere seinem Grundgefühl für Räumlichkeit innerhalb der Skulptur, nur bedingt, eher widerwillig, folgen. Die stets bereite, formbare Tonmasse scheint ihm, neben der Technik des Antragen von Gips, gemäßer zu sein. Beide Materialien, Ton und Gips sind in ihrer naturgegebenen, amorphen Stofflichkeit frei von jeglicher „Kunstidee“, somit unbelastet und ohne jede, das Künstlerische einengende, Materialgebundenheit.

Jeder, wie auch immer geartete künstlerische Impuls, Arbeitsspuren, bis hin zu den feinsten Regungen der formenden Finger, finden unmittelbaren, unverfälschten Niederschlag. Diese zunächst wertfreien Orte sind aber keine materialästhetischen, keine formalästhetischen Positionen, die nach Belieben eingenommen, besetzt werden könnten. Es gibt bezüglich der künstlerischen Authentizität keinen wirklichen Entscheidungsspielraum. Müller ist Realist. Die sich verselbständigende schöne, reine Form interessiert ihn nicht. Er bildet nicht ab, bildet nicht nach - er bildet Neues, bislang Ungesehenes. Seine Inhalte, seine Ideen, seine Anstöße für seine Arbeiten entstammen seiner Wirklichkeitssicht.

Die Bilder der realen Außenwelt erfahren durch seine ganz individuell bestimmte Wirklichkeitssicht eine, mit Phantasie, mit Vorstellungskraft aufgeladene Brechung von reicher assoziativer Bandbreite. Aus dieser Mentalität, aus dieser innigen Verquickung von wacher Beobachtungsgabe und innerer Vorstellung entwachsen seine fabulösen Geschöpfe. Der Grundduktus seiner Formenwelt ist von Innen heraus drängend, ist von gewachsener, von organischer Art. Seine Figuren haben einen durchweg kreatürlichen Habitus: entfernte Bekannte, Abkömmlinge einer unbestimmten Species - gebärdenreich, geheimnissvoll, verschwiegen. Müller baut, ja zwingt seine oftmals schwer lastenden, großförmig, großkonturig angelegten Figuren gleichsam in den Raum hinein. Er ist ein rundum Plastiker. Seine Figurenschöpfungen sind allansichtig, sie sind im dreidimensionalen Verständnis vollständig „rund“ empfunden. Diese hervortretende, starke Seite seiner Begabung macht es im oben angesprochenen Sinne einsichtig, warum er sich zu Gerüstdraht, zu Ton und Gips hingezogen sieht.
Portugiesische Figur/Bronze - Th. K. Müller
In seinen Arbeiten teilen sich dem Betrachter sein sicheres Gefühl für plastische Volumina, für das spannungsreiche Wechselspiel konkurierender Form- und Massebeziehungen, mit. Formdichte, Glätte neben schrundig, indifferenten Bereichen, sind bei ihm nicht Selbstzweck und verfolgen keine formästhetischen Absichten, sondern sind die Konsequenz aus letzter Bestimmtheit. An anderer Stelle wiederum eröffnet er dem Betrachter durch jäh vollzogenen Formschnitt nicht nur Einsicht in deren Querschnitt, sondern bringt ihn auch in die Versuchung, sich den plötzlich beendeten Formverlauf, den abrupten Formabschnitt, mittels der eigenen Phantasie fortgeführt, vorzustellen.


Baldur Schönfelder
Berlin, Januar 1999