Rede zur Einweihung des Porträts von Reinhard Führer gehalten im Berliner Abgeordnetenhaus


Sehr geehrte Frau Führer, sehr geehrter Herr Führer, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin gebeten worden, etwas zu dem Vorgang des Porträtierens zu sagen, dies will ich versuchen:

Über das Sehen, das Staunen und die Wirksamkeit sozialer Milieus

Bei den Dreharbeiten zu dem Film, den wir im Anschluss sehen werden, bin ich gefragt worden: wie ich mich auf das Porträtieren von Herrn Führer vorbereitet habe. Ich antwortete, möglicherweise zur Verwunderung der Fragenden: GAR NICHT. Dies ist zum einen etwas kokett und zum anderen ungenau. Genauer wäre zu sagen: mein gesamtes Leben lang, was wiederum etwas pathetisch daherkommt. Aber nicht prinzipiell falsch ist. Denn es existiert ein schöner Mythos in der Kunst, der besagt: immer das letztgeschaffene Kunstwerk beinhaltet alle vorherigen.

Kunstwerk beinhaltet alle vorherigen. Es ist die Essenz meiner gesamten kulturellen Rezeption, aller meiner Erkenntnisse, Erfahrungen, Fehler und Irrtümer. Das geschriebene Buch beinhaltet alle vorher geschriebenen und gelesenen, aber auch alles gesehene, gerochene, gehörte - gelebte. Alles von den Digedags bis Bachs Präludium und Fuge. Dies ist ein schöner, großer Gedanke - er geht allerdings öfter in der Banalität des künstlerischen Alltags baden.

Biografische Versatzstücke fügen sich irgendwann zu einem Leben zusammen, welche Ereignisse in meinem Leben notwendig waren, damit ich mich für einen künstlerischen Beruf entschied, bleibt offen. Sicher ist, es hat etwas mit der Sicht auf die Welt zutun und von wo aus ich sie betrachte. Und mit der Überzeugung: dass sie betrachtbar ist.

Das Wort „ Ereignis“ stammt von dem Wort „Eräugnis“ ab, es hat etwas mit Sehen zutun, in erster Linie damit, dass jemand die Augen aufmacht und auf etwas achtet, das ihn interessiert.

Doch das fast anthropologischen Sehen allein reicht nicht aus, es fehlt das Transformative: Also entweder man schreibt darüber, malt, oder wie ich: wandelt das Gesehene in eine plastische Form um. Diese Technik kann man lernen oder besser gesagt: kann man üben. Damit aus dem Klumpen Ton etwas entsteht, was dem Modellsitzenden am Ende ähnlich sieht. Vorausgesetzt man hält, wie ich, das Ähnlichsehen für ein Kriterium des Porträts. .... aber es ist nicht das einzige.

Was ich mit diesem anfänglichen GAR NICHT aber eigentlich meinte, bezieht sich auf eine spezielle Eigenschaft unseres Gehirns: sich an visuelle Ungewöhnlichkeiten zu gewöhnen.

Nicht, dass Herr Führer visuell derart Ungewöhnlich sei, nein ....aber..dazu ein Beispiel: Ich reise an einen vergleichsweise exotischen Ort, am Tag meiner Ankunft habe ich das Gefühl alles fotografieren zu müssen: diese unglaublichen Häuser, diese Gesichter, das Licht, die Farben, die Märkte, voll mit den ungewöhnlichsten Produkten, am übernächsten Tag fotografiere ich schon seltener, wiederum zwei Tage später lasse ich die Kamera zuhause, das Zusehende ist Normalität geworden. Übertragen auf den Porträtvorgang heißt dies nicht, ich muss bei der ersten Sitzung zu Ende kommen, sondern: die Frische meines Blickes muss erhalten bleiben, mein Erstauntsein, meine Begeisterung für die Einmaligkeit dieser Konstellation von Auge und Nase, diese unglaubliche Besonderheit der Ohren im Verhältnis zum Jochbein und Kinn.

„Entlang dem Staunen siedelt das Gedicht ....“ Reiner Kunze. Porträtieren heißt die Unverwechselbarkeit des Gegenübers herausarbeiten.
Einweihung der Porträtbüste des ehemaligen Polizeipräsidenten von Berlin, Reinhard Führer
Deswegen halte ich es persönlich für wenig sinnvoll, mir vor Beginn hunderte von Fotos anzusehen, quasi zu versuchen, das Gesicht auswendigzulernen, um eben diesem Gewöhnungsprozess auszuweichen, viel eher empfehle ich, parallel an einem zweiten, möglichst unterschiedlichen Kopf zu arbeiten, vielleicht an dem von einem Chinesen, falls verfügbar, oder wenigstens an dem von einem Kind.

Wiederum auf das touristische Beispiel übertragen hieße das: pendeln zwischen Manhattan und Meckpom aber ad hoc ohne Flugzeit, quasi gebeamt. Man würde aus dem Staunen nicht mehr rauskommen, dann aber bald Wahnsinnig werden.

Damit ist nebenbei der Künstlerberuf ganz treffend beschrieben: (Ihrer möglicherweise auch) möglichst viel Staunen ohne dabei Wahnsinnig zu werden. Sensibilität contra Zynismus. Ich halte Zynismus für eine Form von Wahnsinn. Oder wie Peter Rühmkorf es formulierte: „Bleib erschütterbar und widersteh“.

Ich möchte noch einen anderen Aspekt des Porträtierens erwähnen: Wieland Förster, der in der Galerie draußen den Willy Brandt Kopf stehen hat, sagte: Zitat:“ dieses Metier, bedarf, wenn es mit Hingabe betrieben wird, fairer Weise der Nachgiebigkeit.“ Zitat Ende.

Was ist gemeint? Es gibt niemand bzw. mir ist niemand bekannt, der den Beruf des reinen Porträtisten ausübt, sondern das Porträt fügt sich ein in eine bildhauerische bzw. künstlerische Praxis, die von ganz persönlichen, inhaltlichen und formalen Anliegen geprägt ist.

Man rückt von seiner formalen Konzeption ab, um sich in den Dienst des Porträts zu stellen. Was aber, noch mal Wieland Förster: „ keinesfalls mit der Preisgabe errungener Maxime gleichgesetzt werden sollte.“ Das Porträt nimmt eine Sonderstellung im Gesamtwerk ein, die Handschrift, bzw. der Wiedererkennungswert bezüglich des Künstlers steht im Hintergrund.

Wie sehe das Ergebnis aus, wenn man beispielsweise Christo beauftragen würde? Vielleicht bekäme man die Antwort: fertige ausschließlich muslimische Frauenporträts. Oder Georg Baselitz....! Selbst bei Giacometti bleibt diese Ambivalenz im Formalen deutlich spürbar. Wenn er seinen Bruder Diego als Modell nahm, bewegte er sich frei innerhalb seiner formalen Auffassung und nannte das Ergebnis Kopf oder Büste Diego, anders wenn er ein „richtiges Porträt„ machte, dann trat seine typische Formsprache zurück, zugunsten der Widererkennbarkeit des Modells. Deshalb waren Ihre anfänglichen Bedenken bezüglich meiner Fähigkeiten zur Selbstrücknahme durchaus berechtigt. Herr Führer hatte sich, als er meinen Namen erfuhr im Netz kundig gemacht, und bekam Angst als ein abstraktes, anthropomorphes Gebilde zu Enden. Also sein Porträt, nicht er selber.

... wenn Ihnen mein Text langsam merkwürdig oder irgendwie seltsam vorkommt, dann ist das völlig normal. Denn Sie erhalten eine Menge spezifische Informationen aus einem Ihnen fernen sozialen Milieu, das muss Sie naturgemäß nur bedingt interessieren.

... und damit komme ich zu dem interessantesten Aspekt des Porträtierens: dem Phänomen der Parallelgesellschaften.

Ich möchte dafür allerdings einen anderen Begriff verwenden: den der sozialen Milieus. Denn kein Mensch lebt mit irgendjemandem parallel, nein, wir mäandern durch das Leben innerhalb unserer Milieus, dies kann die Familie, die Fußballmannschaft oder beides sein, der Gartenverein, ein Wissenschaftsteam, eine ethnologische Nachbarschaft, wir Künstler leben untereinander, die Biologen, die Ärzte, die Unternehmensberater, und auch die Politiker. Katholische, protestantische, reiche, arme, linke, rechte. Die Gesellschaft strukturiert sich in soziale Milieus. Sie ersparen viele Grundsatzdiskussionen, warum und weshalb, der gemeinsame Gegner ist meistens schnell ausgemacht, alle die, die nicht dazugehören. Konsenzgesellschaften. Soziale Milieus sind die Wohnzimmer der Gesellschaft: sehr gemütlich, mitunter allerdings etwas langweilig und durchaus geistige Inzuchtgebiete. Wir entwickeln eine spezielle Sprache, eigene Verhaltenweisen, auch einen eigenen Humor, kleiden uns so, dass wir zuordenbar sind, wie man sieht ...

Wenn es eine Skala der entferntesten sozialen Milieus gäbe, so wäre an dem einen Ende Herr Führer, als klassischer westdeutscher Politiker und an dem anderen Ende ich als ostdeutscher Bildhauer. Das wir uns kennen lernten war statistisch nicht vorgesehen. Das dies doch passierte, gehört für mich zu den bleibenden, überraschenden Momenten. Begegnungen außerhalb des eigenen sozialen Milieus erweitern immens den Horizont, lockern die verkrusteten Denkstrukturen, und verleihen vielen Dinge eine neue Perspektive.

Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, Sie zu ermutigen: Verlassen Sie öfter Ihr angestammtes Milieu. Sie werden mit Themen und Fragen konfrontiert, das ahnen Sie nicht.

Besuchen Sie Ihren Klempner oder laden Sie die gesamte Dönerbudenmannschaft am Wochenende zu sich zum Essen ein, oder die einsame Oma aus der Nachbarschaft oder alle zusammen- Sie werden aus dem Staunen nicht mehr rauskommen.

Und wem die soziale Abenteuerlust noch nicht vergangen ist, für den bleibt immer noch eine Alternative:

Kaufen Sie Kunst!

Danke schön!

Thomas K. Müller ( Bildhauer )
Berlin, den 18.11.2010